Maïmouna Obot: Mein Leben für die Hexenkinder.

Berufen zu den verstossenen Kindern Nigerias

Bei einem Besuch Maïmouna Obots bei ihrer Freundin Bea in Barcelona, zeigt ihr diese ein Video der BBC mit dem Titel «Saving Nigeria’s Witch Children». Hier erfährt sie, die in Deutschland lebende Juristin und Tochter eines nigerianischen Vaters und einer deutschen Mutter, zum ersten Mal, dass in Nigeria Hunderte von Kindern der Hexerei angeklagt, ausgesetzt, oft auch gefoltert und getötet werden. Ursprung für diese Praxis, so der Sprecher im Video, vor allem im christlichen Südnigeria, sind die Predigten von selbst ernannten Pastoren von pfingstlich-charismatischen Kirchen. Ihre kruden Thesen «belegen» sie mit aus dem Kontext gerissenen Bibelzitaten. Ein grosses Problem ist, so die Reporter, dass die Kinder keine Lobby hätten und sich nur wenige trauen, ihnen zu helfen. Auch finden nur wenige Kinder in Kinderheimen Zuflucht.

Maïmouna Obot gibt mit ihrem Buch den Kindern und ihren Lebensgeschichten eine Stimme, Hoffnung und den Glauben an eine Zukunft. Eine Stimme, die unbedingt gehört werden muss und so mithilft, dass Menschen in Europa und in Nigeria in ein neues Denken kommen.
Ein äusserst lesenswertes Buch, das zum Nachdenken über ein unbekanntes und totgeschwiegenes Thema einlädt und zu Fragen nach unserem eigenen Umgang und unserer Reflexion zu diesem Thema.

Maïmouna Obot: Mein Leben für die Hexenkinder.
Berufen zu den verstossenen Kindern Nigerias
SCM Hänssler Verlag 2022, 264 Seiten

Bettina Wissert, Oktober 2025

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Maïmouna Obot: Mein Leben für die Hexenkinder 
Berufen zu den verstossenen Kindern Nigerias

Bei einem Besuch Maïmouna Obots bei ihrer Freundin Bea in Barcelona, zeigt ihr diese ein Video der BBC mit dem Titel «Saving Nigeria’s Witch Children». Dieser Film schockiert Maïmouna Obot und ihre Freundin Bea sehr. Gleichzeitig weiss sie, dass Nigeria, die Heimat ihres Vaters, ihr sehr fremd ist: Sie kann keine der einheimischen Sprachen und fühlt sich wegen ihrer helleren Hautfarbe fremd. Und doch nimmt sie Kontakt mit ihren Verwandten in Nigeria auf.

2016 fliegt sie nach Nigeria. Dort besucht sie ein Kinderheim, in dem «Hexenkinder» leben. Immer wieder wird sie damit konfrontiert, dass die Infrastruktur von Firmen gespendet wurde, für die Instandhaltung aber kein Geld mehr fliesst. Als sie mit der Leiterin des Kinderheims zum Einkaufen auf den Markt geht, erfährt sie, dass nach der Eröffnung des Heimes die Marktfrauen keine Lebensmittel an die «Hexenkinder» und ihre Helfer und Helferinnen verkaufen wollten. Beim Spielen mit den Kindern fallen ihr bei einigen Kindern grosse Narben am Kopf auf. Einer der Jungen erwidert auf ihre Frage, was es mit der Narbe auf sich hat: «Das ist passiert, als sie mir den Kopf öffnen wollten, damit der Teufel aus mir ausfahren kann.» (S. 30) Fasziniert liest sie nach und nach die Akten der Kinder und erfährt so ihre Geschichten.

Eine wichtige Arbeit des Kinderheims erlebt sie hautnah mit: Versöhnungsarbeit zwischen den Kindern, ihren Familien, die noch in ihren Heimatdörfern leben und den Bewohner:innen dieser Heimatdörfer. Denn ein Nigerianer/eine Nigerianerin ohne Familie, ohne Zugehörigkeit zu einem Dorf, hat weder auf dem Arbeits- noch auf dem Heiratsmarkt eine grosse Chance. «Nur wer ein Dorf und damit eine Vergangenheit hat, hat auch eine Zukunft.» (S. 32)

Oft sind die Ursachen der Anklage zur Hexerei, das erfährt Maïmouna bei den Versöhnungs­besuchen, Armut der Herkunftsfamilie, das Wohnen armer Kinder bei reicheren Verwandten, wo sie in sklavenähnlichen Verhältnissen leben und die Schule nicht besuchen dürfen, aber auch die Predigten von Pastoren, Ältesten und Diakonen von Freikirchen. Diese erhoffen sich mit Exorzismen zusätzliche Einkommen und einen höheren Zulauf der Gläubigen. Sie erfährt, dass die Anklage im häuslichen, nachbarschaftlichen oder kirchlichen Umfeld entsteht, dort geprüft und bestätigt wird.

Auf dem Rückflug nach Deutschland wird ihr klar, dass fehlendes theologisches Wissen Menschen daran hindert, den Hasspredigern und ihren bewaffneten Schlägertrupps Paroli zu bieten. Finanzielle Ressourcen, Mitarbeiter:innen und theologisches Wissen sind nötig, damit bei den Menschen ein Umdenken beginnen kann. «Die in Nigeria praktizierte Hexenverfolgung ist ein durch die Kirche geschaffenes Problem, die Kirche ist gleichzeitig aber auch der Schlüssel zur Lösung für dieses Problem», so ihre Schlussfolgerung (S. 44).

Zurück in Deutschland gründet sie den Verein «Storychangers e.V.», der gegen die Hexenverfolgung in Nigeria kämpft. Er will die Opfer finanziell unterstützen und durch Aufklärungskampagnen, indem die Geschichten der Kinder dokumentiert und erzählt werden, zukünftige Opfer verhindern.

Bei ihren nächsten Reisen beginnt sie einheimische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die Arbeit vor Ort zu suchen und ein Bewusstsein für diese Kinder zu schaffen. Immer wieder erfährt sie von Kindern, die in Dörfern der Hexerei angeklagt sind. Zudem bekommt sie Kontakt zu dem privaten Waisenhaus «Way to the Nations», eines der wenigen Heime, die sich um diese Kinder kümmert und ihnen ein Zuhause bietet. Fakt ist, dass in Nigeria die staatlichen Heime fast keine dieser Kinder aufnehmen – weil die Mitarbeiterinnen Angst vor ihnen haben.

Bei ihren Recherchen über das Thema beschäftigt sie sich auch mit den Hintergründen in Europa und den hier noch immer vorhandenen Strukturen und Gedanken. Dabei fallen ihr viele Parallelen auf – und sie stellt sich die Frage, wie es Europa geschafft hat, dieses Thema mehr oder weniger zu bearbeiten und zu beenden. Denn, so stellt sie am Ende des Buches fest, völlig beendet ist es weder in Europa noch weltweit.

Eingewoben in ihre eigene Auseinandersetzung mit diesem Thema – gerade auch als Christin –, mit ihren Erlebnissen und Begegnungen in Nigeria, sind Erlebnisse mit Kindern und die ausführlichen, ungeschönten und erschütternden Geschichten von Hope, Joy, David, Nsembo, Christopher und Promise. Kinder, die als Hexenkinder verfolgt und gequält wurden, und die durch die Waisenhäuser, in denen sie leben, nun Hoffnung auf eine Zukunft haben.

Bettina Wissert, Oktober 2025

Maïmouna Obot: Mein Leben für die Hexenkinder.
Berufen zu den verstossenen Kindern Nigerias
SCM Hänssler Verlag 2022, 264 Seiten